Was würde dein Körper sagen, wenn er sprechen könnte?
“Wir hören auf den Körper oft erst, wenn er schreit. Aber er spricht die ganze Zeit.”
Wir saßen gerade erst am Dienstag mit unserer kleinen Achtsamkeits- Ausbildungsrunde per Zoom zusammen, Thema war: „Achtsamkeit auf den Körper“.
Eine unserer Trainees hat an diesem Tag ihren Talk gehalten – ruhig, klar, gut vorbereitet. Und am Ende hat sie ihren Beitrag mit einem Impuls beendet, der mich direkt getroffen hat.
„Was würde dein Körper dir sagen, wenn er sprechen könnte?“
Mit dieser Frage hat sie ihren Vortrag beendet. Kein lose eingestreuter Gedanke, sondern ein klar gesetzter Schlusspunkt – zum Nachklingen.
Und genau das hat er getan. Die Frage hat mich direkt gepackt. Und sie hat mich nicht mehr losgelassen.
Nicht, weil die Frage besonders spektakulär gewesen wäre, sondern weil sie so ehrlich war.
Weil sie etwas berührt hat, das viele von uns gut kennen, aber selten in Worte fassen:
Dieses feine Gefühl, dass wir unseren Körper im Alltag zwar irgendwie mitnehmen – aber oft nicht wirklich bei ihm sind.
Was in mir mitschwang, war vielleicht auch die Erfahrung der letzten Wochen: Ich war gerade erst an Corona erkrankt – zum zweiten Mal. Beim ersten Mal, damals während des Lockdowns, hatte sich daraus Long-Covid entwickelt. Eine lange, fordernde Zeit, in der mein Körper sich leer und fremd angefühlt hat. Dieses Mal war es anders. Ich war zwar krank, richtig krank – aber ich habe mich selbst in diesem Kranksein anders erlebt. Ich war präsenter. Verbundener. Achtsamer. Und genau deshalb hat mich diese Frage so berührt. Weil ich gespürt habe: Ja, mein Körper spricht. Und ich kann zuhören.
Der Körper als blinder Fleck unserer Wahrnehmung
Die moderne Psychologie spricht in diesem Zusammenhang von Interozeption – also der Fähigkeit, innere Körperzustände wahrzunehmen: Herzschlag, Atem, Magengefühl, Muskelspannung.
Studien zeigen, dass ein gutes interozeptives Gespür eng mit emotionaler Selbstregulation, Empathie und psychischer Gesundheit verbunden ist.
Aber diese Fähigkeit ist nicht selbstverständlich. Sie kann unterdrückt, übergangen oder verlernt werden – besonders in einer Gesellschaft, in der Funktionieren oft mehr zählt als Spüren.
Der Philosoph Thomas Fuchs spricht von der "Verleiblichung des Selbst" und meint damit: Wir sind nicht im Körper. Wir sind Körper. Doch unsere Alltagswahrnehmung trennt oft zwischen "ich" und "mein Körper". Als wäre er ein Anhängsel. Ein Projekt. Oder ein Gegner.
Achtsamkeit beginnt im Spüren, nicht im Denken
In der buddhistischen Achtsamkeitspraxis ist der Körper der erste Anker: Kāyānupassanā – die Betrachtung des Körpers.
Noch bevor Gefühle oder Gedanken betrachtet werden, geht es darum, im Leiblichen anzukommen. Im Atem, in der Haltung, in der Bewegung, in der Empfindung.
"Achtsamkeit ist keine Technik. Sie ist ein Wiederankommen in der lebendigen Erfahrung."
– Thich Nhat Hanh
Dieses Ankommen geschieht nicht im Kopf. Sondern im Spüren. Und das heißt: Nicht bewerten. Nicht ändern. Nicht analysieren.
Sondern da sein. Lauschen. Offen werden für das, was jetzt gerade lebendig ist.
Was würde dein Körper sagen?
Vielleicht nichts Lautes. Vielleicht etwas ganz Einfaches:
"Ich bin müde. Ich halte so viel. Ich warte darauf, dass du mich wieder spürst."
Oder:
"Ich erinnere dich an deine Grenzen – nicht, um dich zu begrenzen, sondern um dich zu schützen."
Oder:
"Ich brauche nicht viel. Nur deine Aufmerksamkeit."
Zwischen Reiz und Reaktion entsteht Raum
Der Neurowissenschaftler Dan Siegel nennt diesen Raum "the window of tolerance" – den Bereich, in dem wir innerlich reguliert bleiben, auch wenn äußere oder innere Reize auftreten. Der Körper ist der erste Ort, an dem wir bemerken können, ob wir uns innerhalb dieses Fensters befinden. Ob der Atem noch fließt. Ob der Kiefer weich ist. Ob die Hände ruhig sind.
Achtsamkeit auf den Körper hilft uns, diese Signale früher wahrzunehmen. Und genau darin liegt ihr Wert: Wir müssen nicht warten, bis wir zusammenbrechen. Wir dürfen vorher schon hinhören. Hinspüren. Uns selbst unterbrechen, bevor der Körper es für uns tun muss.
Eine kleine Einladung für heute
Vielleicht magst du dich für einen Moment hinsetzen. Die Augen schließen. Deine Hände auf den Bauch legen. Und dich fragen:
"Was brauche ich gerade?"
Nicht mit dem Kopf antworten. Sondern mit dem Körper. Vielleicht ist da eine klare Botschaft. Vielleicht ein Seufzer. Vielleicht einfach nur ein Atemzug, der etwas weiter wird.
Zum Schluss
"Der Körper ist der Übersetzer der Seele ins Sichtbare."
– Christian Morgenstern
Diese Frage – Was würde dein Körper sagen, wenn er sprechen könnte? – kam nicht aus einem Buch, sondern aus dem echten Leben. Und vielleicht ist sie genau deshalb so wirksam.
Ich glaube, sie erinnert uns daran, dass wir mitten im Alltag beginnen können. Nicht irgendwann. Nicht wenn es ruhiger wird. Sondern jetzt. Mit einem Atemzug. Mit einer kleinen Pause. Mit der Entscheidung, hinzuhören.
Vielleicht ist das der erste Schritt zu einem liebevolleren, wacher empfundenen Leben im eigenen Körper. Und vielleicht beginnt genau heute dieser neue Dialog. Leise. Ehrlich. Und ganz lebendig.