Yoga und Verantwortung
“Achtsamkeit ist nicht, die Augen zu schließen – sondern sie offen zu halten. Für das, was da ist.”
Seit nun 3 Jahren lebe ich zwischen zwei Welten: Hamburg – und Kapstadt.
Zwei Orte, die unterschiedlicher kaum sein könnten, und doch beide mein Zuhause geworden sind.
Ich bin in Südafrika geboren. Mein Herz hängt an diesem Land, obwohl ich meine meiste Lebenszeit in Deutschland verbracht habe. Oder vielleicht: gerade deswegen. Es zieht mich immer wieder zurück.
Und während ich dort lebe – in einer „gated community“ in Kapstadt, mit (fernem) Blick auf den Tafelberg und all dem, was diese Stadt so unendlich schön macht –
weiß ich auch um das andere Gesicht dieses Landes:
die Ungleichheit, die Spaltung, die Gewalt, die für viele Menschen zum Alltag gehört.
Und manchmal treffen sich diese beiden Realitäten. Nicht theoretisch, sondern hautnah.
Ich wollte zu einem Festival beim Castle of Good Hope. Laut Ticket sollte es dort stattfinden. Ein Ort, den ich von früher kannte – touristisch, belebt, aufgeräumt.
Dieses Mal war es anders.
Dort, wo ich früher durch eine touristische Zone gelaufen bin, stehen jetzt Zelte. Menschen leben hier. Schlafen hier. Kochen hier. Mitten in der Stadt, an einem Ort, der für mich lange zu den „sicheren“ gehört hatte.Als ich an den Behausungen vorbeiging, sprach mich eine schwarze Frau an – freundlich, aber eindringlich:
„It’s not safe for a white woman to walk here alone. When you come back, ask the security to escort you to your car.“Ich bedankte mich, ging weiter – mit einem Gefühl, das sich nicht mehr ganz einordnen ließ.
Auf dem Rückweg zu meinem Auto wollte ich nicht um „Begleitschutz“ bitten, wollte um die Zelte herumgehen – und verlief mich.
Plötzlich war ich orientierungslos in einer Gegend, die mir fremd war. Die Straßen wirkten leer, bis auf einige Menschen, die herumstanden oder im Schatten lagen. Die Stimmung war schwer zu deuten – vielleicht war sie gar nicht gefährlich. Aber mein Körper entschied anders. Ich spürte zum ersten Mal echte Panik.Ich fragte schwarze Taxifahrer, ob sie mich begleiten würden. Sie winkten ab, sagten: „It’s safe, just keep walking.“
Aber mein Herz raste, meine Schritte waren zu schnell. Ich ging weiter, kämpfte mich zurück, erreichte schließlich mein Auto – und atmete erst auf, als die Tür ins Schloss fiel.
Ich lebe in einem gesicherten Komplex.
Mit Kameras, Security, elektrischen Zäunen.
Ich bewege mich vorsichtig, gehe nicht allein wandern, bin wachsam.
Und trotzdem liebe ich diesen Ort.
Diese Stadt, dieses Land – weil sie mir nichts vormacht.
Weil sie mir zeigt, dass Achtsamkeit mehr ist als ein Atemzug.
Weil sie mich immer wieder fragt: Wie lebst du – wirklich?
Kapstadt ist nicht ganz Südafrika. Aber es erzählt viel über dieses Land.
Über Schönheit, Widerstandskraft, Energie –
aber auch über Trennung, Trauma und Ungleichheit.
Dieses Land steckt in mir, tief in meiner DNA.
So sehr, dass ich manchmal selbst überrascht bin, wie stark die Verbindung ist – trotz all der Jahre in Deutschland.
Vielleicht gerade deshalb.
Als mein erster Sohn geboren wurde, habe ich meine erste Patenschaft übernommen.
Ein südafrikanisches Mädchen, das ich mit der Kindernothilfe begleitet habe, damit sie zur Schule gehen konnte.
Seitdem bin ich immer wieder unterstützend tätig – so gut ich kann.
Aber ehrlich gesagt: Manchmal frage ich mich, ob das genug ist.
Ob ich noch mehr tun müsste.
Ob ich mehr tun könnte.
Diese Erfahrung bei dem “Castle of Good Hope” hat etwas in mir verschoben.
Nicht zum ersten Mal – aber vielleicht auf eine neue Weise.
Denn ich lebe in zwei Welten. Nicht nur geographisch – auch innerlich.
Zwischen Rückzug und Verantwortung. Zwischen geschütztem Alltag und einer Realität, die ich zwar sehen kann, aber nicht selbst leben muss.
Und genau deshalb berührt es meine Praxis UND mein Leben.
Wenn ich auf der Matte sitze, mich zentriere, atme, spüre – dann ist das nicht losgelöst von der Welt.
Dann ist das kein Rückzug ins Private.
Sondern ein Üben darin, hellwach zu bleiben, nicht zu verhärten, mitzufühlen, klar zu sehen – und eben nicht wegzuschauen.
Yoga endet nicht an der Mattenkante. Es beginnt dort oft erst richtig.
Wenn wir Yoga üben, geht es nicht nur um Dehnung, Atmung oder Entspannung.
Es geht um Bewusstheit, Beziehung und Verantwortung.
Zur Welt. Zu anderen. Zu uns selbst.
Und dann reicht Yoga eben nicht nur bis zur Mattenkante.
Dann ist es auch eine Frage von Haltung. Von Mitgefühl. Von Mut.
Ich weiß, dass ich privilegiert bin.
Ich weiß, dass ich jederzeit wegsehen kann. Aber ich will es nicht.
In meinem kleinen Wirkungskreis versuche ich, Spaltung nicht einfach hinzunehmen.
Ich höre zu. Ich sehe Menschen. Ich frage mich, was ich tun kann. Nicht als Heldin. Sondern als jemand, der Yoga ernst nimmt – auch außerhalb der Matte und der Studios.
Vielleicht ist das die eigentliche Praxis:
Wenn wir anfangen, unsere Achtsamkeit nicht nur auf den Atem zu richten,
sondern auf das, was um uns herum geschieht.
Und wenn wir begreifen, dass „Nicht-Wegsehen“ auch eine Form von Yoga ist.
Denn: Es geschehen gerade furchtbare Dinge auf der Welt.
Nicht nur fern – auch hier.
Der Krieg im Gazastreifen. Die Kinder, die sterben. Die Ohnmacht. Die Angst.
Und gleichzeitig: die Ungleichheiten mitten in unserer Gesellschaft.
Gerade als Yogis – als Menschen, die sich mit Ahimsa, Mitgefühl und Wahrhaftigkeit beschäftigen –
dürfen wir nicht einfach schweigen.
Es geht nicht darum, parteilich zu sein.
Es geht darum, menschlich zu sein.
Haltung zu zeigen.
Und die Werte, die wir auf der Matte üben, in die Welt zu tragen.
Also:
Versteckt euch nicht hinter verschlossenen Türen.
Macht die Fenster auf.
Seid laute Yogis.
Deutliche Yogis.
Wache, fühlende, engagierte Menschen.
Die Welt braucht das. Jetzt.
“Wahre Spiritualität beginnt nicht beim Rückzug, sondern beim mutigen Blick auf das, was ist.”