Nicht heilig, nur auf dem Weg

Yoga teachers are not people who have mastered everything. They are people who are willing to keep practicing in public.
— Donna Farhi

Was viele nicht sehen – und was wir nicht immer zeigen können

Es gibt Tage, da steige ich ins Auto und denke: Heute nicht.
Nicht, weil ich keine Lust habe – sondern weil ich einfach erschöpft bin. Weil ich mit zu wenig Schlaf, zu vielen Gedanken und einem gewissen Widerstand aufwache, der sich irgendwo zwischen Schultern, Zähnen und Stimme eingenistet hat. Und trotzdem fahre ich los. Nicht, weil ich besonders diszipliniert bin oder irgendeinem Ideal entsprechen möchte, sondern weil ich weiß, dass Yogi*nis kommen, weil ich die Klasse gebe. Und weil es – oft genug – genau das ist, was mir am Ende gut tut.

Denn ja, es gibt diese Momente, in denen ich erst mit dem Beginn der Stunde langsam wieder in Kontakt komme – mit dem Raum, mit den Menschen, mit mir.

Nicht, weil ich vorher „nicht präsent“ war, sondern weil ich einfach auch nur ein Mensch bin. Eine Frau, die viel um die Ohren hat, die mehrere Studios führt, ein Team begleitet, Ausbildungen konzipiert, Yoga unterrichtet und gleichzeitig all das bewältigt, was das Leben jenseits der Matte so mit sich bringt.

Diese Vorstellungen – und was sie mit uns machen

Was mich in all den Jahren am meisten beschäftigt hat, ist das Bild, das andere von uns Yogalehrer*innen haben – und manchmal auch wir selbst.
Dieses Bild von jemandem, der immer ruhig ist, immer klar, immer in Balance.
Als wären wir ständig aufgeladen mit Inspiration, durchweg ausgeglichen und von Grund auf “happy”.
Ich merke das besonders in den Ausbildungen. Viele Trainees starten mit einem Idealbild.
Sie stellen sich die Yoga-Welt als einen Ort vor, an dem alle freundlich miteinander sind, alles leicht fließt, alles immer irgendwie achtsam abläuft.
Und ich kann das verstehen. Diese Sehnsucht nach einem klaren, echten, heilsamen Raum – die kenne ich selbst gut.

Aber irgendwann – oft zwischen den Abschlussprüfungen und der ersten richtigen Klasse – verschiebt sich das Bild.
Dann merken viele: Ach so, das hier ist nicht nur ein Raum für Verbindung, sondern auch ein Ort mit Kursplänen, Krankmeldungen, Kundenanfragen, Technikproblemen, Ärgernissen und ganz normalen zwischenmenschlichen Themen.
Dann bin ich nicht mehr nur Ausbilderin, sondern plötzlich auch Geschäftsfrau.
Und ja, dann spreche ich anders. Dann frage ich nach Verbindlichkeit. Dann geht es nicht nur um Persönlichkeitsentwicklung, sondern auch um Absprachen, Vertretungen und klare Rückmeldungen.
Nicht, weil ich “anders sein” möchte – sondern weil ich ein Unternehmen leite. Oder besser gesagt: vier.
Und weil ich gelernt habe, dass es nicht reicht, einen Raum nur energetisch zu halten – er muss auch abgeschlossen, gereinigt und abgerechnet werden.
Es ist eben nicht alles Licht und Liebe – es ist auch Heizungsausfall, Steuererklärung und Kursplanung.

Yoga ist keine Flucht aus dem Alltag – sondern eine Praxis mittendrin

Ich habe viele Phasen gehabt, in denen ich mich gefragt habe: Wie soll das weitergehen?
Wie soll ich bei all dem Drumherum noch Yoga unterrichten – und vor allem: noch lieben?
Besonders während der Pandemie war dieser Punkt erreicht.
Ich hatte das Gefühl, das alles, was mir wichtig war, verloren geht. Das Leuchten, die Verbindung, das Echte.
Stattdessen saß ich vor Anträgen, vor Unmengen an Regeln, vor Bildschirmen. Ich hatte keine Lust mehr.
Nicht auf Yoga an sich – sondern auf die Form, in der ich es leben musste.

hier mit meinen tollen Begleiterinnen Andrea Mohrbutter (links) + Nell Leiss (Mitte)

Es gab schon häufiger Zeiten, in denen ich ernsthaft überlegt habe, ganz aufzuhören.
Ich hatte keine Kraft mehr, keine Inspiration, keine Freude an dem, was vorher “mein sicherer Ort” war. Und trotzdem bin ich geblieben. Nicht aus Pflicht, sondern weil ich tief in mir wusste: Irgendwann kommt die Freude zurück. Und sie tat es.

Nicht plötzlich, nicht magisch – sondern langsam, Schritt für Schritt.
Durch das Wieder-Anfangen. Durch das Dasein, auch wenn es schwer war.
Durch Menschen, die mich daran erinnert haben, warum ich das tue und dass ich gebraucht werde … Danke Nell 🫶🏽

Und ja, ich bin auch oft enttäuscht worden


Ich sage das nicht, um bitter zu wirken. Aber ich finde, es gehört dazu, ehrlich zu sein.
Wenn du viele Jahre in dieser Welt unterwegs bist – mit Herz, mit Offenheit, mit echter Hingabe – dann wirst du nicht nur inspiriert, sondern auch verletzt.
Von Partnerinnen, die andere Vorstellungen haben. Von Menschen, denen du vertraut hast.
Von Situationen, in denen du plötzlich merkst: Nicht jeder lebt Yoga so, wie du es verstehst.

Und genau dann braucht es etwas, das tiefer trägt.
Etwas, das jenseits von Rolle und Image bleibt.
Und für mich war das immer wieder die Erinnerung: Yoga ist eine Praxis. Kein Versprechen. Und schon gar kein Heiligenschein.

Was ich heute weitergeben möchte

Heute unterrichte ich wieder gerne.
Nicht, weil alles einfacher geworden ist – sondern weil ich mir erlaubt habe, Dinge und Strukturen zu ändern.
Weil ich aufgehört habe, mich für alles selbst zuständig zu fühlen. Weil ich gelernt habe, zu delegieren. (Oh Mann und das war kein leichter Weg für mich 🙃)
Weil ich nicht mehr versuche, es allen recht zu machen – sondern Raum schaffen möchte, der echt ist.
Und weil ich wieder spüre, was mich ursprünglich berührt hat: dieses gemeinsame Atmen. Diese kleinen Momente von Präsenz. Dieses einfache Dasein mit anderen Menschen.

Ich glaube, das ist es, was viele vergessen:
Auch wir Yogalehrer*innen sind keine Ausnahmeerscheinungen.
Wir werden krank. Wir sind müde. Wir haben private Sorgen. Wir verlieren den Faden. Wir sagen Dinge, die wir später bereuen.
Und genau deshalb ist die Praxis so wertvoll – weil sie uns immer wieder einen Weg zurück zeigt.
Nicht zu einer perfekten Version von uns selbst.
Sondern zu dem Teil, der da ist, wenn wir uns nicht mehr anstrengen, irgendetwas darstellen zu müssen.

Und vielleicht ist das das Ehrlichste, was ich heute vermitteln kann:
Nicht, dass Yoga alles löst – sondern dass es uns hilft, zu bleiben, während wir versuchen, unseren Platz immer wieder neu zu finden.
Nicht auf einem Podest. Sondern mittendrin im Leben.

Teach from your scars, not from your wounds.
— Judith Janson Lasater
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