Du musst nicht alles können- Über das Loslassen von Lehrer*innen-Perfektion

Die meisten von uns beginnen mit dem Unterrichten, weil sie etwas teilen wollen, das sie selbst tief berührt hat. Wir kommen aus der Praxis, nicht aus dem Rampenlicht. Und doch passiert es irgendwann: Der Druck schleicht sich ein. Die Stimme im Kopf, die fragt:

Habe ich genug erklärt? War das verständlich? Hätte ich das Sanskrit besser aussprechen müssen? Bin ich überhaupt gut genug?

Willkommen im Club. 🥺

Ich kenne diese Stimme gut. Sie war lange sehr laut. Und manchmal ist sie das auch heute noch – vor allem dann, wenn ich etwas Neues unterrichte oder in einer Fortbildung vor erfahrenen Kolleg*innen stehe. Der innere Antreiber flüstert dann: „Sei perfekt. Mach keine Fehler. Sei kompetent. Sei beliebt.“

Manchmal merke ich es erst hinterher – an der Erschöpfung. Daran, dass ich mit meinem Kopf schon bei der Analyse war, während der Körper noch unterrichtet hat. Daran, dass ich die Dankbarkeit der Teilnehmenden nicht richtig annehmen konnte, weil ich innerlich dachte: "Na ja, aber der Einstieg war nicht rund."

Die inneren Antreiber – und warum sie uns im Weg stehen

In der Transaktionsanalyse spricht man von den sogenannten fünf inneren Antreibern, die häufig aus unserer Kindheit stammen und tief in uns verankert sind:

  • Sei perfekt

  • Sei stark

  • Beeil dich

  • Streng dich an

  • Mach es allen recht

Diese Antreiber sind nicht per se schlecht – sie haben uns oft leistungsfähig, verantwortlich und gewissenhaft gemacht. Aber sie funktionieren wie eine Software, die unbemerkt im Hintergrund läuft. Und wenn wir sie nicht bewusst wahrnehmen, steuern sie uns – und unser Unterrichten.

Gerade Lehrer*innen – besonders im Yoga – laufen oft mit einem unsichtbaren Paket dieser Antreiber durchs Studio. Weil wir "gut" sein wollen. Weil wir Verantwortung tragen. Weil wir gesehen werden. Weil wir oft auch sensible, empathische Menschen sind.

Doch diese Antreiber treiben uns manchmal weg – von uns selbst. Und auch von den Menschen, mit denen wir arbeiten.

In Stresssituationen – etwa wenn eine Stunde nicht so läuft, wie wir es geplant hatten, wenn eine Fortbildung näher rückt, wenn ein Kollege im Raum sitzt – dann springen die Antreiber an. Und dann kippt ihre Kraft ins Gegenteil:

  • Sei perfekt wird zu einem lähmenden Zwang, bei dem nichts mehr gut genug ist.

  • Streng dich an macht uns blind für Momente der Leichtigkeit und führt zu Überforderung.

  • Mach es allen recht lässt uns den Kontakt zu unseren eigenen Grenzen verlieren.

  • Beeil dich zerstört Präsenz und verführt uns zu einem inneren Hetzmodus.

  • Sei stark verbietet uns, Hilfe anzunehmen oder Unsicherheiten zu zeigen.

Wenn all diese Antreiber gleichzeitig aktiv sind – und das sind sie oft bei Menschen, die im sozialen oder pädagogischen Bereich arbeiten – entsteht innerlich ein Hochleistungsmodus, der nach außen nicht immer sichtbar ist, aber auf Dauer auslaugt. Und dabei vergessen wir oft: Die Menschen, die zu uns kommen, suchen keine Perfektion. Sie suchen Verbindung. Sicherheit. Menschlichkeit.

Try not to become a teacher of perfection, but a teacher of presence.
— frei nach Jack Kornfield

Der buddhistische Blick: Es geht nicht um dich

Im Buddhismus spricht man von den drei Geistesgiften, die Leid verursachen: Gier, Hass und Verblendung. Perfektionismus speist sich oft aus Gier – nach Anerkennung, Kontrolle, Fehlerfreiheit. Und aus der Verblendung, dass unser Wert an Leistung geknüpft ist.

Aber Yoga ist kein Leistungsraum. Es ist ein Erinnerungsraum. Eine Rückkehr. Eine Begegnung.

When we let go of who we think we should be, we create space for who we truly are.
— Pema Chödrön

Im Yoga ist Svadhyaya (Selbstreflexion) ein wichtiger Teil des Weges. Dazu gehört auch, zu erkennen: Ich unterrichte nicht, um zu glänzen.

Ich unterrichte, um zu dienen. Nicht ich bin das Zentrum – sondern die Praxis.

Und die Praxis braucht keine perfekte Form. Sie braucht Echtheit. Boden. Stille.

Perfektion trennt – Verbindung heilt

Perfektionismus ist nicht nur anstrengend. Er trennt. Wenn ich vorne auf der Matte stehe und mich ständig frage, ob ich gut genug bin, bin ich nicht bei meinen Schüler*innen. Ich bin bei mir. In meiner Angst. In meiner Selbstbeobachtung.

Achtsamkeit hilft hier enorm. Sie bringt uns raus aus dem Bewertungsmodus und zurück ins Spüren. Zurück zur Präsenz.

You can’t connect if you’re performing. Connection requires truth.
— Brené Brown

Und wie lässt sich das ändern? Ein paar Gedanken:

✔️ Sprich es aus – manchmal laut, oft leise. "Ich will nicht perfekt sein. Ich will präsent sein."

✔️ Hol dir Feedback – nicht als Bewertung, sondern als Spiegel. Von Menschen, denen du vertraust.

✔️ Erlaube Fehler – nicht aus Nachlässigkeit, sondern aus Menschlichkeit. Sie machen dich nahbar.

✔️ Lerne weiter – aber nicht aus Mangel, sondern aus Liebe zur Sache.

✔️ Vergleiche dich weniger – Instagram ist kein Maßstab. Weder für Tiefe noch für Echtheit.

✔️ Wähle deine Lehrer*innen gut – Such dir Menschen, die dich nicht unter Druck setzen, sondern erinnern, dass dein Weg ein Prozess ist.

✔️ Frage dich ehrlich: Was möchte ich den Menschen wirklich mitgeben?

Und wenn du das nächste Mal vorne stehst …

… und das Gefühl hast, alles wissen, alles richtig machen, alles lösen zu müssen – dann atme!!

Und erinnere dich:

Du bist nicht da, um perfekt zu sein. Du bist da, um da zu sein. Mit allem, was du bist.

"Die Schüler*innen erinnern sich selten daran, wie präzise du erklärt hast. Aber sie erinnern sich daran, wie sie sich in deiner Stunde gefühlt haben."

Das ist das, was zählt.

Next
Next

Ein achtsamer Alltag – kleine Rituale mit großer Wirkung